Leichtbaulösungen im Spannungsfeld der Anforderungen

Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM ist eine der europaweit bedeutendsten unabhängigen Forschungseinrichtungen auf den Gebieten Klebtechnik, Oberflächen, Formgebung und Funktionswerkstoffe. An den fünf Standorten in Bremen, Dresden, Stade, Wolfsburg und Braunschweig sowie am Testzentrum für maritime Technologien auf Helgoland zählen wissenschaftliche Exzellenz mit starker Anwendungsorientierung und messbarem Kundennutzen sowie höchste Qualität zu den zentralen Leitlinien des Instituts.

Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten umfassen dabei die gesamte Prozesskette, von der Materialentwicklung über die Oberflächenvorbehandlung und die Prozesstechnik bis hin zu Auslegung und Qualitätssicherung mit dem Ziel, der Industrie anwendungsorientierte Systemlösungen zur Verfügung zu stellen. Die Aktivitäten reichen von der Grundlagenforschung über die Prototypenfertigung bis zur Markteinführung neuer Produkte.

Hierzu zählen z.B. die Entwicklung neuartiger Matrixsysteme für Faserverbundkunststoffe (FVK), die Erarbeitung von Konzepten zur Funktionsintegration und werkstoffabhängige Fügekonzepte für innovative Leichtbaulösungen.

Stellen Sie Ihre Leichtbaulösungen vor.

Zentrale Forschungsbestandteile und Dienstleistungen sind die rechnerische Nachweisführung von Leichtbaustrukturen aus FVK und geklebten Strukturen und numerische Simulationsmethoden, die in Kombination mit dem angegliederten Werkstoffprüflabor zur mechanischen Werkstoffcharakterisierung eine werkstoff- und anwendungsgerechte Bemessung von Klebverbindungen und Bauteilen ermöglichen. Moderne Leichtbauweisen im Schiff-, Schienenfahrzeug-, Automobil- oder Flugzeugbau stehen hierbei im Fokus. Neben etablierten Werkstoffen werden hier auch neue Materialien und Materialkombinationen, zum Beispiel auf Basis nachwachsender Rohstoffe oder mit Recyclingmöglichkeiten, betrachtet.

Vor welche Herausforderungen stellt Sie der Leichtbau in der maritimen Branche aktuell?

Die Herausforderung besteht in der Erforschung und Entwicklung innovativer Leichtbau-Faserkunststoffverbunde für strukturelle Anwendungen in der maritimen Branche und insbesondere im Bau von Seeschiffen. Dazu sind Anforderungen des SOLAS Übereinkommens bzgl. der Brandsicherheit zu erfüllen. Gleichzeitig spielen ökonomische Aspekte eine Rolle. Weiterhin sind rationelle Fertigungstechnologien, maßgeschneiderte Bauweisen und Fügekonzepte notwendig, um entsprechende FVK-Komponenten in die primäre Schiffstruktur zu integrieren. Bei der Evaluierung und Auswahl geeigneter stoffschlüssiger und mechanischer Fügeverfahren wie Kleben, Nieten und hybrider Verfahren ist die Klebstoffauswahl essentiell zur Gewährleistung einer betriebssicheren Assemblierung hinsichtlich der auftretenden Lastfälle und Brandschutzanforderungen.

Welche Schritte werden Sie als nächstes gehen, um den Leichtbau voranzutreiben?

In diesem Spannungsfeld zwischen Brandschutz, mechanischen Anforderungen und effizienter Fertigung entwickeln wir neue Faserverbundlösungen, z.B. auf Basis von Polybenzoxazinen, die in Kombination mit mineralischen Fasern wie Glas und Basalt vielversprechende Brandschutzeigenschaften aufweisen. Mit dem Ziel, End-of-Life Strukturen zur Weiterverwertung oder dem stofflichen Recycling demontieren zu können, stellen lösbare Klebverbindung ein notwendiges Mittel dar.

Wo können Forschung, Entwicklung und Innovation zum maritimen Leichtbau von den Entwicklungen in anderen Bereichen oder Branchen profitieren?

In der Vergangenheit wurden in anderen Transportmittelindustrien, wie insbesondere dem Flugzeug-, Automobil- und Schienenfahrzeugbau, vielfältige Fortschritte in Bezug auf Leichtbaulösungen erarbeitet und gewinnbringend umgesetzt. So konnte beispielsweise im Flugzeugbau das Strukturgewicht durch den Einsatz von kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) gegenüber metallischen Aluminiumbauweisen deutlich reduziert werden. Verbesserungspotential herrscht hier noch bezüglich der bisher eingesetzten Fügetechnik Nieten, die gewisse Mindestdicken der zu fügenden Partner erfordert. Dagegen konnten im Automobilbau durch die Anwendung des industriellen Klebens nur schwer schweißbare hochfeste, wanddickenreduzierte Stahlbleche eingesetzt werden und so Potentiale des werkstofflichen und konstruktiven Leichtbaus erschlossen werden. Aus solchen Lösungen kann die maritime Branche und insbesondere der Schiffbau, der noch am Anfang eines solchen Entwicklungswegs steht, profitieren.

Wo öffnet Leichtbau Raum für Innovationen und wie wird die Zukunft der maritimen Branche dadurch beeinflusst?

Leichtbauanwendungen werden sehr häufig durch den Einsatz von FVK realisiert. Die auf den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittene Fertigungsweise dieses Verbundwerkstoffs erlaubt es, individuelle Lösungen zu erarbeiten, die neben dem Leichtbauaspekt auch die Integration von weiteren Funktionen in den FVK erlauben. So ist es möglich, durch integrierte Heizelemente erwärmbare (z.B. eisfreie) Oberflächen zu verwirklichen oder eine umfängliche Sensorierung einer Schiffstruktur aus FVK zu realisieren, was eine Vielzahl von Möglichkeiten der Zustandsüberwachung bietet. Der inhärente Vorteil eines leichten FVK ermöglicht mit zunehmendem Erfahrungsgewinn und Vertrauen in diese Werkstoffklasse zukünftig die Realisierung von leichten schiffbaulichen Strukturen, die die Installation reduzierter Antriebleistungen und den Einsatz an umweltfreundlichen elektrischen Antrieben auch auf Schiffen möglich werden lassen.

Was muss sonst noch dringend zum Thema Leichtbau gesagt werden?

Um das Potential eines werkstofflichen Leichtbaus durch FVK möglichst umfassend zu erschließen, bedarf es werkstoffgerechter Fertigungs- und Fügetechnologien. Diese sind im Rahmen einer Werkstoffentwicklung stets mit zu erforschen und zu entwickeln. Eine bloße Substitution metallischer Strukturen und Anwendung vermeintlich bekannter Fügetechniken ist oft nicht zielführend.

Weiterhin muss das Thema werkstofflicher Leichtbau durch den Einsatz von FVK im Schiffbau insbesondere im Kontext eines verantwortungsvollen End-of-Life und Reparatur-Szenarios gesehen werden. Während im klassischen Schiffbau in der Regel metallische Strukturen durch Schweißen gefügt werden, die gut repariert und recycelt werden können, muss der verstärkte Einsatz von FVK im Großschiffbau von tragfähigen Konzepten begleitet werden, um eine ganzheitliche Betrachtung im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft sicherzustellen.

Kontakt:

Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM
Wiener Straße 12 | 28359 Bremen

Dr. Oliver Klapp
Tel. +49 421 2246-479
oliver.klapp@ifam.fraunhofer.de

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